Albaniens Blaues Auge liegt in der südlichsten Verjüngung des Landes. Bei der Einfahrt scheint es, als würde der Wärter eigens auf einen warten. Nach 200 Lek kurze Einweisung, es wären noch etwa 2 bis 3 Kilometer bis zum Auge. Am Ende des geländigen Weges erwartet einen trotz Naturschutzgebiet ein Unterkunftsgebäude und ein Restaurant. Ignoriert man diese, ist man nach ein paar Metern zu Fuss auch schon an der Quelle. Das Wasser dürfte um die 10 Grad haben. Das Schwimmverbotsschild hätten sie sich gerne für mich sparen können. Das Wasser der Quelle wird im weiteren Verlauf als Bistrica zur Energiegewinnung gestaut. Die bunten Bienenhäuschen an der Einfahrt sieht man sehr häufig im Land.
Die Fahrt vom Canyon hierher war ein Feuerwerk an Begebenheiten. Beim Blick auf die Karte verunsichere ich ob der Tankfüllung, der Strecke und der Tankstellendichte. Kurzerhand entscheide ich mich, gleich mal noch mal die bisherige Strecke bis zum nächstgrösseren Ort zurückzufahren. In Çorovodë ignoriere ich Durchfahrtverbotsschilder so lange, bis ich in einer Baustelle strande. Der Oberbaumeister wirbelt mit seinen Händen, nimmt aber dann doch den Weg zu mir auf. Ich solle etwa hundert Meter zurückfahren. Und 15 Minuten warten. Rückwärtsgang rein und warten. Schneller als erwartet wirbelt er wieder – ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen. Nun rolle ich wieder auf ihn zu. Als ich etwa auf Höhe des Baggers mit den Arbeitern bin, wird mir zugejubelt und applaudiert.
Beschwingt geht es weiter zurück nach Poliçan, wo ich weitere Tankstellen abklappere mit der Möglichkeit, mit Karte zu zahlen. Obwohl man häufiger das Maestro- oder Kreditkartensymbol auf der Preissäule sieht, werde ich auch hier nicht fündig. Auf Nachfrage bei einem dieser Tankwarte, warum die Zeichen angebracht wären, während man nicht damit zahlen könnte, … MARKETING …
In Poliçan war während des kommunistigen Regimes eine Waffenfabrik angesiedelt, in der unter anderem auch ein Nachbau der Kalaschnikow gefertigt wurde. Während dieser Zeit durften Ausländer Poliçan nicht besuchen. Das hätte mich ja schon gereizt, mal in diesen Lost Place mit seinen unterirdischen Kavernen zu sehen. Von einer Anhöhe aus hat man einen guten Überblick über das Ortsgebiet. So sehr ich mich aber auch bemühe, ich finde keinen Weg dort hinunter in die Senke in das Industriegebiet.
Meine letzte Hoffnung liegt nun auf Berat mit seinen tausend Fenstern. Trotzdem ich weiss, dass die Maestro- und Kreditkartenzeichen nicht halten, was sie versprechen, muss ich trotzdem jede Tankstelle anfahren. Mittlerweile winke ich nur noch mit meiner Plastikkarte. Und irgendwo ausserhalb von Berat werde ich endlich fündig. Der Tankwart bestätigt, holt aber zur Sicherheit noch seinen Supervisor, der dann auch noch den Tankstellenchef dazuholt. Ich will höflich sein und beim Betanken helfen, doch werde ich gleich wieder ins Cockpit zurückgescheucht. Die Kartenzahlung funktioniert natürlich nicht gleich auf Anhieb. Für den Notfall hätte ich noch genug Euro. Notfall sieht aber momentan noch anders aus.
Dann den ganzen Sums wieder zurück südlich. Auf der Karte ist eine gelbe Strasse eingezeichnet. Runter nach Kosinë. Dann rechts bis es dann auf die A4 geht. Mein Schlavi dementiert. Meine Entschlossenheit hält jedoch auch nicht ausreichend Stand und ich fahre zurück und erneut meine Tankstellenorte ab. In Kuçova dann westlich zur Autobahn und dann in einem Rutsch runter nach Gjirokastër. Dazu vorher noch über den Berg und vorbei an einem der zahlreichen Lapidare des Landes. Ich wette, die Häuser hier in Gjirokastër haben auch 1000 Fenster. Stattdessen hat man hier die 1000 Stufen gezählt. Die Festung aus osmanischer Zeit dominiert die Ansiedlung auf knapp 400 Metern. Die Geschichte des Burghügels führt allerdings bis in die Steinzeit zurück. Die steingedeckten Häuser mit heller Fassade entstammen der Balkanarchitektur, wie man sie auch in Berat findet. Aus diesem Grund pflegt Gjirokastër auch den Beinamen Stadt der Steine. Ein schweres Erbe, das gegen die illegalen Bauten halten muss. Es droht die Versetzung auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes.
Südöstlich von hier ist Albaniens Epizentrum des Drogenanbaus: Lazarat. Rückt das Militär mal wieder an, herrscht dort Krieg. Die wehrhaften Marihuana-Bauern verteidigen ihre Plantagen mit Waffengewalt. Bei 900 Tonnen Ertrag im Feld im Jahr schaut man nicht so einfach zu, wenn ein paar hundert Soldaten zum Jäten vorbeischauen. Aufgeflogen sind sie angeblich, weil auffällig viele Marihuana-Arbeiter beim Arzt mit Bluthochdruck und Herzrasen vorstellig wurden. Berufskrankheit anscheinend. Unlängst, 2019, hat sich dann Escobar des Balkans, Klement Balili, den Behörden gestellt. Kokain käme aus Südamerika, das gerne in Bananenfracht geschleust wird. Tatsächlich findet sich ungewöhnlich und auffällig viel Banane im Obstangebot im Vergleich zu den heimischen Früchten auf den Strassenständen. Lokal hätten wir momentan reife Weintrauben – bekommt man nicht so häufig, weil sie zu 99,9 Prozent zu Raki verarbeitet werden. Nicht jedoch in den Städten – dort trinkt man Cognac. Zitronen, Granatäpfel, Khaki, Äpfel – die Wassermelonen-Zeit ist vorbei, Kartoffeln, Tomaten und Gurken gibt es wahrscheinlich ganzjährig – in den Tälern hier finden sich häufig Treibhäuser. Salat braucht kein Mensch.
Nach Gjirokastër geht es auf den Strassen so schön weiter, wie auch schon auf den Zufahrtsstrassen. Mein Auto groovt sich über lange Kilometer richtig schön ein, bis schlagartig Schluss ist mit Teer. Völlig unverhofft von einer Kurve in die andere sitzen wir im Kiesbett. Eine Bäuerin schlapft vorbei – mirdita – und ruft in die Ferne. Eine männliche Stimme antwortet aus dem Off. So geht es hin und her während meiner Entscheidungsfindungsphase. Die Bäuerin schlapft zurück. Und ich ziehe weiter. Nach einem knappen Kilometer ist Ende des Weges … Wenden in 6 Zügen. Zurück nach Gjirokastër.
Während meines Einkaufes in einem dieser kleinen Geschäfte, versammelt sich die Verwandschaft, die Familie, die Nachbarschaft, um dieses Ereignis zu verfolgen. Der Ladenbesitzer und Vater der Dolmetscherin, die hinzugezogen wird, notiert die Preise der Waren auf einem karierten Block und rechnet, während seine Frau lieber in Tüten verstauen würde als in meine Einkaufstasche. Damit beleidige ich hoffentlich nicht ihre Gastfreundlichkeit. Eine Einladung auf einen Raki zum Beispiel sollte man nämlich tunlichst nicht ausschlagen und sei’s zum Frühstück – Paragraf 1 des albanischen Knigge. Ach, mir fehlt noch Milch. Die Dolmetscherin entschuldigt sich bei mir, dass sie keine frische Milch hätten und verweist auf eine Packung. Die Entscheidung ist leicht, albanische Kühe kennen keine Laktoseintoleranz.
Was bleibt, ist meine Unsicherheit bei albanischen Einkaufstüten … Weil ich diese herzenslieben Menschen nicht verletzen will. Weil sie aus ihrem tiefsten Innern heraus so gütig sind. Auch, wenn sie nicht viel besitzen und eben trotzdem nichts erwarten. Auf diese Menschen zu treffen, ist sehr heilsam.