Ich bin unentspannt. Und drecksfad zudem. Noch bevor ich zuhause ankomme, erreichen mich irdische Probleme über Text und Telefon, die meine volle Aufmerksamkeit vereinnahmen. Ich schlafe lange, als um meine Abfahrt zu verzögern. Danach tue ich nur so, als würde ich schlafen, obwohl drüben an der Baustelle schon albanische Hochstimmung herrscht. Es ist Mittwoch – Bauvorhaben kennen in Albanien keine Wochentage. Es könnte also auch Sonntag sein. Was dem Tag jedoch auch nicht dienlich wäre.
Vorsichtshalber putze ich auch noch mein Auto innen. Doch auch Zwangsputzen bringt mich nicht runter. Unternehme einen langen Spaziergang am Strand, immer mit der Skyline von Durrës sprichwörtlich im Nacken. Heute Abend um 7 geht die Fähre nach Italien, Ancona. Nur noch ein paar Kilometer zum Hafen. Ich könnte nicht unglücklicher und voller Vorfreude in mir zugleich sein.
3 oder 4 Stunden vor Abfahrt der Fähre muss ich am Hafen sein. Irgendwann halte ich die Spannung nicht mehr aus und fahre los. Meinen Zustand kann ich mir nicht erklären. Ich bin gefühlt 100 Fähren gefahren. Hatte den Frequent Traveller-Status bei LH. Damit sollte ich mich auskennen. Mein Nervenkostüm ist in der Reinigung.
Bei der Anreise habe ich nicht so recht einen Plan und nötige einfach einen der Posten an der Schranke mich durchzulassen, was funktioniert. Noch ein paar Kilometer über das Gelände und der nächste Posten schickt mich zurück zu einem anderen Gate. Dieser weiss auch nicht so recht, was er mit mir anfangen soll. Und schickt mich auf den Lkw-Parkplatz. Danach zum Check-in, die mich in einer halben Stunde bis Stunde mit dem Auto in der Parkspur hinter dem Gebäude sehen will. Nun gut, dass ich schon früher gefahren bin, denke ich, während mein Parallelhirn einen Fehler ausweist. Nie und nimmer ist das die offizielle Zufahrt. Durch einen Zaun getrennt, sehe ich die Autos für unsere Fähre, wie ich es eigentlich gewohnt bin, auf einem Hof.
Nun frage ich alllle Uniformierten auf meinem Gelände, bis ich wie bei Memory zwei gleiche Antworten erhalte. Die geht so, dass sich ungefähr eine Stunde vor Abfahrt ein Tor öffnet, durch das ich zur Fähre komme. Also setze ich mich persönlich so nah an die Tore, wie es nur geht. Auch auf Gefahr hin, dass mich einer der Lkws überfährt. Damit könnte ich leben. Irgendwann Signal an mich persönlich zur Abfahrt von einem der Offizer. Wurde für meine Nervosität auch Zeit. Noch bevor man zum Tor kommt, sitzt eine Hundertschaft an Polizei in der Kurve, die die Lkws und mich kontrollieren. Mein Officer spricht kein Englisch und verweist mich in Italienisch an den Capo. Der Capo will von mir wissen, warum ich zu ihm geschickt wurde. Une nuk e di no lo so I don’t know mafi. Mein Weiss-nix kennt viele Sprachen.
Daraufhin ordnet er an, dass ich an der Leiter mein Auto parken und warten solle, bis ein Kollege von ihm kommen würde, dem ich dann folgen solle. Irgendwo dazwischen noch die Geschichte, dass es wohl mindestens einen deutschen Polizisten gibt, der hier in Albanien zusammen mit ihm zum Einsatz kommt. Oder so. Ich kann nicht folgen. Heute. Jetzt. Ich liebe Albanien. Zum Scanning. Wo sind meine Pillen!?
Irgendwann, ich vergesse Ort und Zeit und konzentriere mich auf meine Atmung, erscheint ein Officer in einem Auto. Er findet mich, instruiert mich ohne sprachlich gemeinsamen Nenner, meinen Warnblinker einzuschalten und ihm in seinem Auto zu folgen. In einem Affenzahn fahren wir über das Gelände, wo schon Lkws in mehreren Spuren warten. Tschüss Fähre! Als ich einen Versuch starte, mich albanisch vorzudrängeln, erhalte ich vom offiziellen Einfahrbeauftragten meine Startnummer. Sogar zwei Riesen-Lkws passen in den Scanner. Als ich einfahren darf, werde ich angehalten auszusteigen, noch mit den Fragen zu Passagieren und Tieren, alles im Laufschritt. Ausser den beiden Flüchtlingen aus Kroatien … Dazu komme ich nicht mehr.
Im Container ausserhalb sitzt ein weiterer Officer vor einem Rechner. Ich frage, ob ich den Scan meines Autos verfolgen dürfte. Po. Er zeigt mir mein durchleuchtetes Fahrrad. Ich kann sogar im Kühlschrank die Wurst erkennen, die ich mir vorgestern gekauft habe. Abschliessend meint er, das Auto wäre wohl sehr voll. Ach! Was sie suchen würden? Drogen. Man könne sie farblich unterschiedlich erkennen. Ob ich bestanden hätte? Po. Ich solle draussen noch auf meine Papiere warten. Kurzfristig hatte ich ganz vergessen, wie nervös ich eigentlich bin. Mittlerweile bin ich nicht einmal mehr äusserlich cool. Während mein Scanner-Zubringer mit anderen fluffig plaudert, zeige ich meine Uhr und verweise vermehrt darauf. Marko versucht mich zu beruhigen, er wäre auch auf der Fähre gebucht. Meine deutsche Nervosität schiebt es auf die albanische Lässigkeit und es greift somit ins Leere. Dann, die Papiere. Und wieder zurück mit Warnblinker im Konvoi. Es scheint geschafft. Puh.
Doch in der Kurve bei der Hundertschaft ist wieder Schluss mit Fortschritt. Neben mir werden Lkws gefilzt. Jede einzelne Plastiktüte wird begutachtet. Wenn wir uns hier in meinem VOLLEN Auto durch die Abteilungen filzen, sorge ich für Schlagzeilen. Gerade kann ich für nichts mehr garantieren. Einem Offizer schalte ich noch das Licht im Innern an. Dann verlässt er mich wieder. Dann folgt noch ein Officer mit einem Drogen- oder Sprenghund, den er durch das dunkle Innere schickt und ich darf fahren.
Kurz vor dem nächsten Posten, Ticketkontrolle. Danach Vollgas am Officer vorbei, der sich lauthals bemerkbar macht. Rückwärtsgang. Entschuldigung. Nach Kontrolle der Papiere darf ich passieren. Am Rumpf der Fähre weitere Beauftragte der Unternehmung. Seuchen-Selbstauskunft für die Einreise nach Italien. Jungfräulich ist sie noch in meinen Unterlagen. An der Seite fülle ich bei schwachem Licht und zittriger Hand ohne Lesebrille die Fragen in 4 pt Beipackzettelschriftgrösse aus. Manche Dinge kann ich nur erahnen. Auf Rückfrage, ob ich nun das Eine oder das Andere wäre, die Auskunft es wäre sowieso egal und sie nehmen mir den Fetzen ab.
Die Autos sind bereits verladen. Ich parke bei den Lkws.
Im Salon treffe ich Marko wieder und einen seiner beiden Fahrer, Paolo. Sie würden diese Tour wohl wöchentlich fahren nach Brüssel und zurück. Ob sie schon einmal im Scanner gewesen wären. Ja, jedesmal.
In der Zwischenzeit erfolgt die Durchsage an Board, dass sich die Abfahrt um mindestens eine halbe Stunde verzögern würde, da die Polizei noch nicht mit den Untersuchungen abgeschlossen hätte … Alles easy.
Mirupafshim. Dovidenja.