Am Nachtplatz an der Fussgängerbrücke über die Buna, einem Abfluss des Skutari-Sees, ist es sehr quirlig. Am Flussufer angelt man, fischt man, sitzt man, spielt man, diskutiert man, flaniert man. Oder man wirft volle Wasserflaschen in die Bäume, um die hyperaktiven Spatzen zu vertreiben. Sehr viele ältere Männer sind hier unterwegs, meistens mit ihren Fahrrädern oder Mofas oder Rollern. Man fährt entweder mit Helm, ohne Helm oder mit Wollmütze. Auch verhältnismässig viele Romas und/oder Balkan-Ägypter sind hier anzutreffen.
Ich bin den ganzen Abend draussen am Ufer und beobachte so das Geschehen. Andere Länder, andere Fischermethoden. Natürlich gibt es Angler. Hier gibt es aber hauptsächlich Fischer, die auf dem Brückengeländer stehen und ihr Rundwurfnetz gekonnt ins Wasser werfen. Auch Angler stehen auf dem Brückengeländer. Zuschauer finden sich auch schnell.
Irgendwann gesellen sich zwei Jungen zu mir. Wie alt ich wäre, verheiratet, Freund, Reisen, alleine, Land, Wohnort, … // Perfektes Englisch, gelernt auf der Strasse (Nachtigall!), Schüler, Corona-bedingt online-schooling, sein Freund spräche nur Italienisch, versteht aber mein Italienisch nicht, ist in Italien geboren, seine Freundin wäre Sarah und Italienerin, lebt in Venetien. Und schon geht es los (- ich warte ja schon die ganze Zeit darauf): Hussein fragt mich nach meiner Bankkarte und ich könne doch Geld abheben und es Hajro geben. Mich hätte die Aufklärung der Strategie interesiert, eingeleitet hat er mit der Frage, ob ich Schuhe mögen würde – da wusste ich ja leider noch nicht was kommt und hab verneint – doch sie müssen schon bald nun heim. Nachtigall!
Meinen Kaffee trinke ich morgens an der Brücke. Es braucht etwas, bis ich in die Spur komme. Die Männer schreien sich schon wieder gegenseitig zu. Das Brückengeländer ist wechselseitig auch schon belegt. Zweimal vier Männer sitzen jeweils auf leeren Getränkekisten und spielen auf einem Brett. Ich dachte im ersten Moment an Domino.
Gibt es die Sigurimi eigentlich noch? Manches fühlt sich so an. Typen mit schwarzen Sonnenbrillen, einer speziellen Körperhaltung und einer Körpertasche, die gefühlt stundenlang starr stehen und beobachten und mit niemandem reden. Das allein macht ja schon verdächtig. Klar, ganz Albanien trägt schwarze Sonnenbrillen, doch bei dieser Kombi schlägt mein Seismograph aus. Hier sind einige davon.
Nur noch ein paar Handgriffe und ich kann losfahren. Mittlerweile weiss ich auch ohne mein Schlavi, wie ich zum See komme. Rückwärtsgang rein und -stoooop- Agim, wie er sich vorstellt, hängt im Fenster. Ich bin doch kein drive-in. Er hätte sich im Park schon gedacht, dass ich entweder Deutsche oder Holländerin wäre. Er hat sich nur nicht getraut mich anzusprechen, weil zu viele Albaner anwesend gewesen wären. (Moment, ich weiss ja, dass mehr Albaner im Ausland sind als zuhause – ähnlich der Libanesen – das heisst aber im Umkehrschluss nicht, dass weniger Albaner zuhause sind als Fremde, right!?) Ah, seine Logik geht vllt so: er ist wahrscheinlich mittlerweile deutscher Staatsbürger, zeigt mir seinen deutschen Führerschein, er lebt in Mainz, war aber schon in Frankfurt, Frankfurt/Oder, Düsseldorf, Köln, Hamburg, … (Ich komme heute nicht mehr los. In Kroatien habe ich auch schon einige kennengelernt, die mehr deutsche Grossstädte aufzählen können, als ich in meinem Leben besuchen kann.) Als er mit seiner Aufzählung fertig ist, zieht er einen wilden Packen Geld aus seiner Hosentasche. Ob ich eine Telefonnummer hätte. Nein. Ich solle nicht böse sein. Nein, bin ich nicht. Er hätte noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Ausser Geschwindigkeitsübertretungen. Geschwister im Geiste. Ich solle nicht alleine an abgelegenen Orten stehen. Ich mache mir keine Sorgen. Als Frau alleine. Nein, ich mache mir keine Sorgen. Ich solle mir keine Sorgen machen. Nur 1 unter 1000 wäre böse. Dann klingelt sein Telefon und er telefoniert an meinem Fenster. Jetzt wird es definitiv Zeit für meinen Rückwärtsgang …
Einfach eine Brücke nördlich und parallel am anderen Flussufer südlich …
Der Weg führt durch ein Roma-Viertel. Ein sehr beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit. Dieser Schmutz, dieser Müll. Selbst die Hunde abgemagert und fern von jeglicher Lebensenergie.
An der erstbesten Möglichkeit zu stehen bleibe ich, nachdem sich der See kurz zuvor mit Pelikanen präsentiert hat und ich den Kühen, die aus dem Müllcontainer fressen die Hupe gezeigt habe.