Unlängst zerrt meine Mutter Fotos ihrer Kindheit aus den Alben hervor. Drei davon sind 1954 entstanden, als ihr Vater einen von sehr, sehr seltenen Ausflügen – eigentlich dem einzigen – mit seiner Familie unternimmt.
Zu siebt in einem VW-Käfer fahren sie nach Lindau an den Bodensee. Posiert wird vor dem Löwen an der Hafeneinfahrt auf Lindau-Insel. Das jüngste Kind ist noch nicht zur Welt.
Als sie vor einigen Wochen von meinen Plänen erfährt, via Bodensee in den Schwarzwald zu fahren, wird ein weiterer Bodensee-Plan geschmiedet für die nähere Zukunft. Ein Ausflug mit meinem Auto – wir könnten auch darin übernachten … Ich bekomme Angst.
Ein paar Wochen später – mein Auto braucht noch Zusatzfedern – ist es soweit. Wir fahren. Von zuhause auf dem direkten Weg auf Lindau-Insel, trotz Wohnwagen-Verbotsschildern. Von Alkoven-Symbolen fühle ich mich nicht angesprochen. Ich finde einen tollen Parkplatz, wir schlendern zur nahen Promenade. Eine Werbung für Hörgeräte erinnert meine Mutter daran, dass sie die Batterien für ihre Hörgeräte vergessen hat. Noch hört sie. Ich verspreche ihr, nicht so viel zu sprechen, um die Batterien zu schonen. Nach Maultaschen auf der Restaurantterrasse – es ist ein herrlicher Tag – geht es zu dem Löwen der Gegenwart an der Hafeneinfahrt.
Danach weiter nach Friedrichshafen, wo ich meine Mutter zum Mittagsschlaf in meinem Campingstuhl in einen Park stelle. Ich bin stolz darauf, mit dieser Kiste rückwärts in eine Parkbucht eingeparkt zu haben, sie meint nur abwertend “pfff”, oder so ähnlich. Man darf eben auch nicht vergessen, was sie in den früheren Jahren an Gespannen bereits gefahren und rangiert hat. Von meinem Vater ganz zu schweigen. Ich erinnere mich an ein Gespann, 2. Weihnachtstag 19xx, Wintereinbruch, mit Anhänger auf Anhänger, hinter Traktor. Durch Österreich nach Slowenien.
Wir fahren noch ein bisschen weiter nördlich zu einem Parkplatz für die Nacht direkt am Bodensee. Am Parkplatz schliesslich bin ich etwas irritiert, da ein Ordnungsmann an einem Wohnwagen schräg gegenüber beschäftigt wirkt. Eine zweite Strafe wollte ich nicht gerade mehr riskieren heute. (Natürlich hat es mich auf der Insel saftig erwischt. Das Auto passt in eine gewöhnliche Parklücke und gehört nicht den Weisswaren an. Trotzdem. Ich halte nicht viel von Schubladendenken. Trotzdem wahrscheinlich Zeit, umzudenken.)
Als ich den direkt Anwesenden anspreche, erfahre ich, dass der Mann zu dem Wohnmobil vermisst war und nun tot hier am Bodensee-Strand angespült wurde. (Man vermutet, im Bodensee liegen um die 100 Tote.)
Wir verbringen den Abend am Kiosk. Mutz ist müde und schläft danach schnell. Sie hat es gut, ohne Hörgeräte hört sie die Mücken nicht, bevor sie stechen. Auch ist noch viel Betrieb auf dem Parkplatz. Wie ich noch in den frühen Morgenstunden wenig verwundert von ihr höre, wird sie eine zweite Nacht nicht im Auto verbringen wollen. Wenn wir uns nicht einig sind, droht sie gerne damit, mit dem Zug heimzufahren oder zu gehen.
Ich hab ihr schon mal ihre bequemen Schuhe herausgestellt …