Was in Italien in der Saison schwer möglich ist, gelingt auf Korsika gleich problemlos – und ich finde spontan einen Platz mit direktem Zugang zum Strand.
Der Stadtstrand von Bastia ist bei Ankunft auffallend aufgeregt. Flugzeuge am Himmel. (Wie sich Wochen später herausstellen sollte, handelte es sich um Wasserlöschflugzeuge, weil es auch hier auf Dauer zu heiss und trocken ist – das südliche Europa wird Stück für Stück brennen.) Die Menschen sind deutlich in Feiertagslaune. Als nach Einbruch der Dunkelheit die Feuerwerke zünden wird es klar … Nationalfeiertag.
Weiter südlich des Flughafens von Bastia habe ich mir nach der ersten Orientierung einen kilometerlangen wilden Strand ausgesucht. Als ich das Auto in Parkposition bringen will, wird schnell klar, dass das Manöver nicht ideal verlaufen ist. Der rechte Vorderreifen ist komplett aus der Feder gesprungen. Ich sitze fest. In zwei Anläufen versuche ich noch, den Reifen mit Steinen und Hölzern zu unterfuttern. Einmal sorge ich sogar für Traktion, erschrecke mich über diesen glücklichen Umstand so sehr, dass mir das Auto abstirbt und wir das Momentum verlieren.
An den folgenden Tagen sieht man mich in den kühleren Morgen- und Abendstunden emsig Steine schleppend. In der Zwischenzeit starre ich auf die Isola di Montecristo, überwinde meine Wasserscheue und studiere das Verhalten der zigtausenden Ameisen, die mittlerweile über einen simplen Grashalm hinweg das Auto und die Lebensmittel darin übernommen haben. Ich greife zu Hausmitteln. Zimt erhöht lediglich meinen Blutdruck. Backpulver bleibt ihnen erspart, weil ich auch keinen Kuchen backen wöllen und können würde. Selbst Essig irritiert sie auf ihrer Duftspur nicht. Lediglich Honig zeigt irgendeine – wenn auch nicht willkommene – Wirkung, ausser man wöllte ein Honigglas mit etwa 1 Zentimeter Rest in weniger als 10 Stunden blitzeblank leeren wöllen lassen …
Und: Haben sich auf einem Klebestreifen Ameisen festgelaufen, transportieren ihre Kameraden geeignetes Material auf den Streifen – wie in meinem Fall Sand und Blätter – um eine Brücke zu den Festsitzenden herzustellen. Unvorstellbar … Feynman hätte seine Freude (gehabt).
Eines Morgens mit neuem Stein im Arm sehe ich aus der Ferne etwas Gelbes auf mich zurollen. Ein Caterpillar. Ich stoppe den Fahrer – bonjour – erkläre mich mit Händen und Füssen. Er will mir auf dem Rückweg helfen. In der Zwischenzeit sortiert er den südlichen Strand neu. Das wäre meine Chance gewesen, hätte entweder er eine Kette oder ich ein Abschleppseil an Bord gehabt. Zum Abschied klopft er mir noch herzlich freundlich zweimal auf meinen linken Oberarm.
Ich hätte Werkzeug, Schrauben und Material, um mir mein eigenes Strandhäuschen zu zimmern, aber kein Abschleppseil. Wagenheber habe ich auch keinen, weil ich auch keinen Reservereifen mitführe …
Ich bin gedanklich raus …
Ansonsten habe ich bisher kein geeignetes Fahrzeug kommen und gehen gesehen. In der nahegelegenen Poilotte werde ich fündig: der Koch vermittelt mir einen Freund mit Quat-Quat. In nicht einmal Sekunden bin ich raus. Pas de probleme. Darüber hinaus erlange ich in dieser Strandbar einen Bekanntheitsgrad des eines bunten Hundes. Dadurch halbieren sich auch die Getränkepreise für mich. (Wenngleich es mir als Tochter meines Vaters nicht entgeht, dass wir uns hier noch immer im Oktoberfestpreisniveau bewegen.) Nur verständigen können wir uns nicht.
Und da kommt Philippe ins Spiel: ein Schauspieler aus Frankreich, der Haus und Hof verkauft hat, lebt und wirkt nun von Korsika aus. Hatte schon unter anderem Arrangements in USA und Deutschland, singt, zitiert und inszeniert Prozessionen, reanimiert sein Englisch, und erklärt mir die Welt, bringt mir kleine Schätze vom Strand, wie zum Beispiel einen Stein aus Marmor, der sich von der Insel Pianosa hierher aufgemacht haben soll und in dem sich die Wolken verewigt haben, hält man ihn gegen die Sonne. Seine Sammlung an Tränen des Meeres lehne ich ab.
Keep. Your tears. My friend.
PS. At least due to the reconfirmation of the loss of your favorite soccer club! Too bad …