Wir warten noch bis Mittag auf Mirwais, der nicht erscheint. Später erfahren wir, dass er bereits um 08:00 Uhr an den Autos war.
Am Stadtrand von Kandahar beginnt ein riesiges Zeltlager. Diesmal handelt es sich nicht um Nomaden, sondern um Slums. Es folgen noch weitere über eine weite Strecke. Der Verkehr ist noch sehr unübersichtlich. Danach wird es leichter. Wenig Verkehr. Wir können ein bisschen fahren, bis sich die Schlaglöcher und verheerende Straßenverhältnisse auftun, wie wir es ja auch bereits kennen. Wieder geht es nur im Schritttempo weiter.
In diesem Abschnitt Afghanistans wird nach Brunnen gebohrt. Die Photovoltaik-Anlagen nehmen zu. Sogar die kleinste Hütte hat mehrere Panele vor dem Haus. Die Landschaft ist wie immer wieder sehr schön zu sehen. Im Hintergrund sieht man Schnee auf den Bergen. Angebaut wird auch Baumwolle.
Der Nähe zu Pakistan ist geschuldet, dass vermehrt die farbenfrohen pakistanischen Lkws unterwegs sind.
Qalat ist ein größerer Ort, in dem wieder vermehrt Arztpraxen und Pharmazien angesiedelt sind. Nachdem wir in Qalat kein Restaurant mit Angebot von Kebab für Jürgen finden, fahren wir bei der nächsten kleinen Ortschaft von der Straße ab und stellen uns vor das Trocknungslager für Weintrauben und andere Früchte, die man häufiger sieht. Die Gebäude haben Schlitze in den Wänden für die Luftzirkulation. Wir sind herzlich willkommen. Gleich ist auch die ganze Blasmusik zur Stelle. Erwachsene und Kinder.
Wir werden von den zahlreichen Mädchen, die an der Lagermauer stehen, stillschweigend beobachtet. Wenn ich auch nur anfange zu winken, laufen sie aufgeregt auseinander. Fotografieren lassen sie sich auch nicht. Nur zwei Kleine erwische ich alleine. Die Jungs sind da schon forscher. Mittlerweile haben sie uns alle Kugelschreiber abgenommen. Der einzige, der Englisch spricht, hatte gebeten, das Auto besichtigen zu können. Er ist Arzt. Im Schlepptau hat er einen Imam und noch weitere Bewohner. Wie wir lernen sind die meisten Afghanen Sunniten.
Als es vor der Hütte ruhig wird, wird noch ein Einzelner vorstellig. Er lädt sich zu uns ins Innere ein. Er nimmt gleich auf der Bank Platz. Wir schweigen uns an, was ihn aber nicht davon abhält, eine halbe Stunde sich nicht vom Fleck zu rühren. Irgendwann waren wir aber dann doch allein.
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Der heutige Fahrtag hat nicht viel Neues gebracht. In der Hauptsache sind wir wieder durch zahlreiche Ortschaften gefahren, in denen das Angebot der Straßenverkäufer nicht besonders wechselt. Auffällig viele Militärforts gibt es auf diesem Abschnitt. Fast alle sind zerstört, eins wurde gerade mit großem Gerät abgerissen und eines war noch in Betrieb. Bei den Kreisverkehren geben sich die Afghanen meistens große Mühe mit der Dekoration. Unverändert häufig sind Tankstellen und Gebetsstätten. Heute haben wir mal wieder an einer diesen kleinen Tankstellen Diesel getankt. Es ist erfrischend zu wissen, dass man tanken kann, wann immer nötig. Dafür kostet der Liter Diesel auch 80 Cent. Häufiger werden die Militärposten der Taliban, die bevorzugt gerne unsere Pässe kontrollieren. Zwei Stationen gab es, die anscheinend Wegzoll verlangen. Wir haben nicht gezahlt. Einen Hummer haben sie im Schlamm versenkt.
Mir ist heute mal wieder aufgefallen, dass die Jungs auch schon in jungen Jahren ganz schön eingespannt sind. Man sieht sie an den Schubkarren, oder Metall sammeln, sie helfen in Restaurants beim Bedienen oder Abräumen, sie verkaufen in dem Shop der Vaters oder haben einen eigenen Stand, mit dem sie durch die Straßen ziehen, man sieht sie bei der Feldarbeit oder sie betteln. Mädchen sieht man sowieso sehr selten. Heute waren zwei mit Schüsseln Wäsche auf dem Kopf unterwegs. Mädchen müssen sich wahrscheinlilch im Haushalt engagieren. Zwei Jungs haben heute Drachen steigen lassen. Drachen steigen lassen hat in Afghanistan lange Tradition. Die Taliban haben diesen Spaß allerdings verboten.
Wir stehen jetzt ungefähr 100 Kilometer vor Kabul. Den ganzen Tag haben wir aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse nur etwa 200 Kilometer geschafft. Von unserem Übernachtungsplatz auf 1600 Meter haben wir uns auf 2500 Meter gefahren. Hier sieht man noch Reste von Schnee.
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Über Nacht hat es geschneit. Rund 10-15 Zentimeter Schnee hat alles unter einer weissen Decke verschwinden lassen. Die Straßen sind frei, als wir zu unserer üblichen Zeit losfahren.
Heute gab es nicht vieles zu sehen, zum einen, weil sich in den 100 Kilometern im Vergleich zu der vergangenen Strecke nichts aufregend Neues passiert ist und zum anderen, weil alles im Schnee und dem Nebel fahl vergeht. Trotzdem sind die Afghanen, bekleidet allein mit ihrer dünnen Tracht und der Decke als Überhang und geschlossenen Schuhen (üblicherweise laufen sie ja auch in der Kälte mit ihren Sandalen) zwischen den Ortschaften auf weiter Strecke zu Fuß unterwegs. Der Verkehr hat sich nicht besonders darauf eingestellt, so kommen einem wie aus dem Nichts Autos ohne Licht entgegen. Sobald der Schnee vergeht, wird alles zu Matsch und Schlamm. In den zahlreichen Ortschaften sind trotz des Wetters schon wieder viele Menschen unterwegs.
Einzig Neues heute war ein Riesenrad und eine Schiffschaukel. So etwas bekommt man in Afghanistan wahrlich selten zu Gesicht. Auch Spielplätze für Kinder hat es nicht. Im Iran ist an jeder Ecke ein Spielplatz.
Für die 100 Kilometer brauchen wir heute 2 einhalb Stunden. Wir erreichen Kabul.