Wir erreichen Kandahar nach kurzer Fahrt gegen Mittag. Unser erstes Ziel, weil wir auch direkt vorbeifahren, ist die Red Mosque, Lal Masjid. In Afghanistan gibt es noch eine Grüne und eine Blaue Moschee. Der Roten Moschee hier gebührt auch Aufmerksamkeit. Es wird behauptet Mullah Omar, der Gründer der Taliban hätte hier gepredigt.
Wir parken vor der Moschee. Gegenüber spielen Jungen auf einem großen Feld Cricket. Natürlich sind auch schon wieder Neugierige bei uns am Auto. Ein Taliban ist schon zur Stelle und weist uns den Weg. Wir passieren den Eingang und es dauert nicht lange, wird uns mitgeteilt, wir hätten für den Besuch 5 Minuten. Theo hat sich seiner Schuhe entledigt und möchte sich auf dem schönen Marmor zur Gebetsstätte aufmachen, da wird er schon von einem Aufseher zurückgepfiffen. Der Besuch ist uns anscheinend nicht erlaubt. Ein Taliban erteilt mir dann auch noch Fotografieverbot. Macht ja alles nix, die Moschee ist verhältnismässig klein, kleiner als in unserer Vorstellung und von außen ist nur die Kuppel rot.
Auf zu dem Stellplatz am Park. Weder Stellplatz noch Park sind heute noch vorhanden. Statt sattem Grün sehen wir nur kiesigen Sand und Mauern auf dem Areal. Wir machen kehrt und fahren wieder in die Stadt, um zu essen in der Hoffnung, dass wir jemanden finden, der uns Übernachtungsmöglichkeiten zeigen kann. Kandahar kann anscheinend auf Tuk-Tuks verzichten.
Kaum parken wir vor einer Auswahl von drei Restaurants, sind auch schon Bettler am Auto, überwiegend Kinder, die nach Geld verlangen. Ich schleppe sie alle zu einer Bäckerei ein paar Shops weiter und gebe Brot aus. Hunger haben sie anscheinend wirklich. Eine zweite Runde Brot folgt noch, nachdem mehr und mehr abgefetzte Kinder sich um mich versammeln.
Danach suchen wir uns ein Restaurant aus und ich bin ganz froh, von der Straße weg zu sein. Bettelnde Kinder sind für mich schwer zu ertragen. Im Restaurant finden sich Tische mit Stühlen und Abteilungen mit Teppich, wo man sich auf den Boden setzt und man kann sich von einer bebilderten Speisekarte aussuchen. Auf gut Glück suche ich aus und bekomme tatsächlich köstliche Falafelfladen. Ein Mann bietet an, uns mit dem Stellplatz zu helfen. Zurück auf der Straße haben wir die selbe Situation wie zuvor und ich verteile erneut Brot.
Danach geht es mit unserem Helfer voraus noch einmal lange quer durch die Stadt. Kandahar ist die drittgrößte Stadt Afghanistans mit etwa 510.000 Einwohnern, mit entsprechend langen Wegen. Durch eine Schranke, die wieder von Taliban kontrolliert wird, fahren wir durch, müssen noch das Innere den interessierten Herren zeigen und fahren noch tiefer in dieses Wohngebiet.
Auf meiner Karte kann ich erkennen, dass wir nun in Aino Mina gelandet sind, das 20.000 Einzelfamilien neue Zuhause bieten sollte. In unserer Straße stehen Häuser, die ich in eine Villengegend verortet hätte. Initiator war Mahmoud Karzai, ein Geschäftsmann und der ältere Bruder des früheren Präsidenten Afghanistans.
Wir parken in einer der zahlreichen “Grünflächen” und schon ist die Blasmusik auf dem Hof, mehrmals, oft, Kinder immer in großen Verbänden, einzelne Erwachsene, Gruppen von Erwachsenen. Nicht einmal der Regen vertreibt unsere Besucher. Hilflos, selbst wenn die Fenster geschlossen sind. Wieder und wieder klopft es.
Ansonsten gibt es noch eine der größten Moscheen Afghanistans, der Mosche in der Universität zu besichtigen, den Chinesenmarkt, die Zitadelle.
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Pünktlich um 8 Uhr morgens geht der Spuk schon weiter. Man versucht sich am Auto bemerkbar zu machen. Kinder mit blauen Unicef-Rucksäcken sind auf dem Weg zur Schule. Auch Mädchen, die allerdings nur bis einschließlich 6. Klasse die Schule besuchen dürfen. Erwachsene sind auch schon zahlreich vor der Hütte. Jürgen kommt mit ihnen ins Gespräch, um zu erfahren, wie man in dieser abgelegenen Siedlung an ein Taxi kommt, mit dem wir in die Stadt zur Besichtigung fahren wollen. Einer der Erwachsenen bietet sich an, da er heute frei hätte. Wir verabreden uns für halb 10 Uhr und fahren unser Auto ein Stück weiter zur Taliban-Festung. Hier sollen wir sicher stehen.
Mirwais, wie ihn seine Großmutter nennt, ist pünktlich mit seinem Toyota Corolla, Achtung: Linkslenker und mit Nummernschild, da, um uns abzuholen. (Bezüglich der fehlenden Nummernschilder konnte ich ihn fragen. Die Halter haben ein Dokument, das sie vorzeigen können, dass ihr Auto zugelassen ist.) Zuerst fahren wir zur Eidgah Jaami Jumat Mosque auf dem Universitätsgelände, die als eine der größten Moschee in Afghanistan gilt. Die Taliban behaupten, ihr Mula Mohammad Omar hätte diese Kuppel gebaut. Durch kontrollierte Schranke fahren wir auf das Gelände. Wir parken auf Höhe der Moschee und der Computer Science Fakultät. Unser Interesse gilt erst einmal der Moschee mit seiner großen hellblau-weißen Kuppel. Wir sind etwas enttäuscht, denn die Kuppel ist umzäunt mit Betonständern. Aktuell wird sie renoviert und ist nicht zu betreten. Über Gittertüren können wir einen Blick ins Innere erhaschen. Die Moschee ist nach allen Seiten offen und steht auf Säulen. Die Kuppel ist mit Malereien geschmückt. Ich persönlich würde das Gebäude nicht als Moschee einstufen.
Zurück am Auto warten wir auf Jürgen. Und schon sind wir von zahlreichen Studierenden umringt und werden in Englisch befragt und informiert. (Rauchen auf dem Campus ist übrigens verboten.) Natürlich wollen sie wissen, was man von Afghanistan und der Taliban hält. Einer der Studenten erklärt mir, dass die Ausbildung auf niedrigem Niveau wäre, weil die Studenten von Studenten unterrichtet würden. Die Lehrer hätten das Land verlassen, als sie sich mit dem System nicht mehr einverstanden fühlten. Jürgen ist in einem der Gebäude und unterhält sich mit Studenten, vorher hat er an einer Vorlesung teilgenommen.
Danach geht es zu dem Tomb of Ahmad Shah Durrani, der das moderne Afghanistan begründet hat. Er hat über das Durrani Empire von 1747 bis 1772 geherrscht. Gleich schon wird klar, dass der Zutritt für uns kritisch betrachtet wird. Über Mirwais wird klar, dass uns der Zutritt verweigert bleibt, nachdem wir unser kulturelles Interesse nicht über ein Permit nachweisen könnten. Dieses Dokument müsste man sich für jede Stadt und jede Provinz jeweils im entsprechenden Culture and Heritage Department ausstellen lassen. Afghanistan hat 34 Provinzen. Es wäre nur 5 Minuten von hier und würde 10 Minuten dauern. Mit Mirwais machen wir uns also auf den Weg dorthin.
Angekommen, werden wir von einem Mann zu dem Büro gebracht, das wir alleine nie gefunden hätten. Es befindet sich im Souterrain in einem hinteren Gebäude. Das Büro ist großzügig und er macht sich mit Handy und Schreibblock hinter seinem großen Schreibtisch an die Arbeit. Alle Pässe werden kontrolliert und fotografiert. Handschriftlich erstellt er für uns zwei Permits. Eine für Kandahar Stadt, die andere für Kandahar Province. Man könnte sich durchaus ein Formular dafür vorstellen. Hier wird das aufwändig handschriftlich erledigt und Stempel unten drauf. Alles in allem haben wir dafür schon eine Stunde gebraucht, bis wir wieder bei dem Tomb sind.
Am Eingang wird unser Schrieb kontrolliert, dann werden wir zu einem Büro geführt, in dem noch einmal alles kontrolliert wird und wir ein Interview absolvieren sollen. Unter anderem wird die Frage gestellt, ob man denn zum Islam konvertieren würde. Als wir damit fertig sind, dürfen wir endlich los. Fotografieren ist erlaubt.
Wir besuchen noch den Bruder von Mirwais in seinem edlen Büro für Transportation, Packaging, Travel und einiges mehr und trinken Tee, zu dem wir einen Pitch über die Firma hören. Danach fahren wir zum Lunch zu einem empfohlenen Restaurant. Als wir aussteigen sind wieder einige bettelnde Kinder zur Stelle. Ich verspreche ihnen Brot und frage in unserem Restaurant nach. Der Chef verspricht, sich darum zu kümmern. Und schwupps lädt er sie alle ein, an einem Tisch Platz zu nehmen. Sie bekommen Reis, Brot. Wir essen ebenfalls köstlich. Das hat dann auch seinen Preis.
Weiter geht’s zum Bazar. Parkplatzsuche ist ein Problem. Nach zweifachen Anfahrens finden wir einen Platz in einem völlig überfüllten Parkhaus. Im Schnelldurchlauf geht es durch die Bazar-Straßen, bis wir uns unser eigentliches Ziel erreichen, den alten Bazar, der überdacht ist. Die typischen Kappen sind zu kaufen, Medikamente, Zigaretten und alles, was man zum Leben braucht. Auf der Straße wird mir erklärt, dass Frauen das Rauchen verboten wäre. Sonst hört man oft, Rauchen wäre ungesund und man sollte damit aufhören. Man sieht auch keinen Afghanen rauchen. Ebensowenige sieht man Menschen mit Brillen. Optiker könnten wir momentan auch brauchen, die finden sich natürlich auch nicht.
Danach schälen wir uns wieder aus dem Parkhaus und nehmen Kurs auf die Berge. Einen kleinen Stopp legen wir noch ein, um uns zu erfrischen. In dem eleganten Lokal kann man in einem Bereich essen, in Sitzgruppen kann man sich “frische” Säfte in Krügen und Glasstrohhalm bestellen. In der Gegend gibt es vermehrt schöne Lokale und Geschäfte.
Wir besuchen Alexandria Arachosia, auch: Alexandropolis, das alte Kandahar. Nomen es omen: natürlich wurde die Siedlung 330 vor Chr. von Alexander dem Großen gegründet. Danach fahren wir zu der unweit entfernten Bergspitze mit seinen 40 Steps, Chil Zena, die man erklimmen kann. Bei beiden Stationen müssen wir die Permit vorzeigen und wir dachten sie würde sich nur auf Holy Sites beziehen. Doch: auch wenn man nur Steine anschauen will, braucht es diesen Wisch. Schon von der Plattform aus hat man einen schönen Blick über Kandahar. Mirwais meint, in der Provinz Kandahar gäbe es schöne Plätze zum Picknicken. Mag vielleicht nicht die Jahreszeit dafür sein, aber gesehen habe ich noch niemanden und die mir vertrauten eingerichteten Picknickplätze neben den Straßen habe ich in Afghanistan auch noch nicht gesehen. s wird schon dunkel und wir machen uns schön langsam auf den Weg zurück zu unseren Autos. In Kandahar Stadt müssen wir mehrmals Militärkontrollen passieren.
Das war ein schöner Tag, um einen guten Überblick über Kandahar zu bekommen, auch wenn wir die Zitadelle nicht gefunden haben. Wir hatten tolles Wetter bei ungefähr 15 Grad.
An diesem von Taliban kontrollierten Platz ist es sehr, sehr ruhig heute. Lediglich Hundebellen hören wir in der Nacht, was sehr aussergewöhnlich ist. Straßenhunde sieht man kaum. Lediglich einmal habe ich einen Kettenhund, einen Schäferhund, gesehen, den sein Besitzer vor eine Menge Schrott gespannt hat. Morgen Früh will Mirwais noch einmal bei uns vorbeischauen.