Morgens fahren wir pünktlich los. Vom von den Taliban verordneten Hotel aus hilft man uns gern aus der Anlage hinaus. Wir fahren heute zu den 7 Seen Bandar-e Amir im gleichnamigen Nationalpark, zu dem – nebenbei – der Zutritt für Frauen nicht erlaubt ist. Der Nationalpark wurde als erster Afghanistans 2015 eingerichtet. Die Seen sind eines der Highlights einer Afghanistan-Reise.
Die Seen liegen auf 3.000 Meter und wir müssen noch einmal bei 3.500 Meter über die Berge. Der Tag ist sonnig mit blauem Himmel. Heute morgen hatte es -9 Grad. Mit der Sonne wird es wärmer. Auf der Strecke liegt noch viel Schnee. Wir sehen immer wieder Männer mit Schaufeln entlanglaufen. Ein bisschen später sehen wir Männer, die mit ihren Schaufeln bereits im Einsatz sind – um eine Nebenstraße freizuschaufeln. Laut Karte ist es nicht mehr weit bis zum Abzweig zu den Seen. Wir sehen auch schon das Gate, das uns willkommen heißen will. Doch, die Straße ist nicht geräumt. Unter der tiefen Schneedecke ist sie bei bestem Willen nicht auszumachen. So machen wir enttäuscht wieder kehrt und nehmen Kurs auf Mazar-e Sharif.
Der Polizist gestern meinte, der Salang-Pass wäre offen. Er wäre gerade gestern noch darüber gefahren. Als wir an unserer Übernachtungstankstelle tanken, erfahren wir, der Salang wäre geschlossen. Das hieße, wir müssten eine Alternativ-Route fahren, von der Azir abgeraten hat. Kurz bevor wir an die T-Kreuzung kommen, an der wir uns entscheiden müssen, machen wir in einer großen Ausbuchtung noch eine Kaffeepause. Da kommt ein Zivilauto an und es springen 6 Taliban heraus. Was wir hier machen würden, hier dürften wir nicht stehen, keine Protection, Passports und dann noch ein Blick in die Klappe. Dann ziehen sie wieder ab.
An der Kreuzung versteht uns niemand und wir entscheiden uns für die Alternativroute, die im Osten der Provinz Bamiyan beginnt und sich am Surkhab Fluss entlang über die Provinz Baghlan zieht. Schon ab Meter 1 merken wir, auf was wir uns da eingelassen haben. Es ist eine geschobene Piste, die an Unebenheiten sämtliche Versionen anzubieten hat, zudem mächtige Spurrillen. In der Stunde machen wir etwa 5-7 Kilometer. Insgesamt liegen 150 Kilometer – wahrscheinlich mit diesen Bedingungen – vor uns, bevor wir auf die Straße nach Mazar-e Sharif nördlich des Salang-Passes treffen. Steigungen bleiben uns erspart. Der Salang-Pass würde auf über 4.000 Meter führen. Von 2500 Meter in Bamiyan fahren wir bis auf eine Höhe von 900 Meter in Afghan-e Doshi.
Sobald das Tal sich weitet, werden die Flächen landwirtschaftlich genutzt. Schön ordentlich sind diese Felder angelegt, teilweise ob des Geländes terrassenartig. Die Felder stehen bereits in sattem Grün, das das Tal ganz besonders strahlen lässt. Zu vermuten wäre Getreide und Weizen. Manchmal sieht man auch Baumplantagen. Die Felder werden mittels kleiner verstärkten Parzellen und Gräben bewässert. Über manche Strecken führt auch ein gemauerter Bewässerungskanal. Afghanistan ist generell bekannt für Trockenfrüchte. Angeboten werden Rosinen, Aprikosen, Feigen, Pflaumen, Äpfel und Maulbeeren. Vereinzelt blühen bereits Mandelbäume. Wir haben frühlingshafte Temperaturen von bis zu 20 Grad. Geackert wird noch mit Holzpflug und Rindern, ausgesät oder gedüngt wird hier von Hand.
Wann immer nötig werden die Flussufer mit Steinmauern befestigt oder Felder abgetrennt. Größere Mauern aus einer Mischung Beton und Stein dienen meines Erachtens der Kontrolle größerer Fluten. Auch jetzt dürfte der Fluss bereits Schmelzwasser führen. Die Steine dafür klopfen sie mühselig aus dem Fels. Lehm holen sie aus der Grube.
In diesem Tal spielen Jugendliche gerne Volleyball. Andererorts versuchen sich Halbstarke mit Steinweitwurf. Bauern sieht man mit Schaufeln auf den Feldern. Viele Männer sitzen in der Sonne. Kinder sind in Gruppen unterwegs. Weit und breit befindet sich hier keine Schule. Die nächste Schule ist in Charbagh Payan am Ende des Tals, viel zu weit entfernt. Unter den Erwachsenen ist es nicht selbstverständlich, dass sie lesen und schreiben können. Immerhin liegt die Analphabetenrate in Afghanistan bei 60 Prozent. Gesprochen wird in diesem Tal Farsi.
Erstmals sieht man Esel, die zum Transport und zur Fortbewegung dienen. Manchmal sieht man Schaf- und Ziegenherden und Kühe, Hühner, Truthähne, Enten. An Wildtieren haben wir nur Vögel beobachen können: Krähen, Elstern, kleinere schwarze Vögel mit weissen Flecken auf den Flügeln.
Die Strecke führt am Fluss Surkhab entlang. Auf der ersten Etappe ist er noch ein Bach, über den die Anwohner lange Stämme legen und mit Planken versehen um ihn zu überbrücken. Später wird er zu einem ordentlichen Fluss, der andere Brücken verlangt. Selbst müssen wir natürlich auch ein paarmal über Brücken. Die Unterkonstruktion schafft Vertrauen, wenn auch der Fahrbahnbelag nicht mehr vollständig ist.
Manche schwere Lastwägen sind unterwegs, die sich genauso mühen wie wir. Meist sind wir etwas schneller und überholen. Die Autos haben es da schon deutlich einfacher und sie jagen über sämtliche Unwegbarkeiten. Am besten hat sich aber wahrscheinlich das Moped bewährt, das von Jung und Alt gerne genutzt wird. Fahrräder selten. Vereinzelt sind auch Menschen über weite Strecken zu Fuß unterwegs.
Frauen sieht man ganz selten, mal hinten auf dem Moped, meistens mit Burka, oder bei der Arbeit, beim Wäschewaschen am Fluss, bei der Arbeit mit den Tieren, oder mit den Kindern. Ein schönes Bild gibt, wenn die Wäsche hinter dem Haus auf einem Hügel zum Trocknen ausgelegt wird. In einer Gegend mit mehr Rindvieh wird der Dung der Tiere entweder auf das Flachdach gelegt oder an die Hauswand zum Trocknen geklatscht. Die trockenen Fladen dienen als Brennmaterial.
Die Taliban ist natürlich auch anwesend, wenn auch nur spärlich. Am Ortseingang von Do Ab-e Mikh-e Zarrin sitzen sie gemütlich auf einer Ledercouch in der Sonne, bis sie uns erblicken. Wir werden kontrolliert. Und so haben wir ein schönes Motiv, Talib mit Kalaschnikow.
Die Landschaft ist atemberaubend schön. Die Farben wechseln und changieren auf den sanften Hügeln. Im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel der Berge. Oder man passiert die malerischen Tafelberge. Manchmal treten auch die Berge in den Vordergrund. Die Landschaft ist großartig. Ab und zu fahren wir durch kleine Orte. Das Bild ist wie sonst auch im restlichen Afghanistan: links und rechts der Straße Verkaufsbuden, die nicht mehr als Reiseproviant anbieten, in der Hauptsache also Energydrinks, Süßigkeiten und Chips. Frische Lebensmittel findet man nicht. Die Menschen wohnen fast ausschließlich in Lehmbauten, die wir aus anderen Gebieten bereits kennen. Farblich passen sie sich in die Umgebung ein. Ab und zu sieht man auch Überbleibsel einer früheren Zeit, wie zum Beispiel einen Turm mit schön gearbeitetem Muster oder eine Festung auf dem Berg. Nachdem Bamiyan auf der Seidenroute liegt, könnte man ja vielleicht annehmen, dass die Karawanen diese Straße durch das Tal benutzten.
Die Friedhöfe in diesem Tal sind eine Besonderheit, so trifft man in einem bestimmten Abschnitt nur auf gemauerte Gräber mit 2 oder 3 Stufen. Und sie sind meistens mit extra geformten Marmorplatten mit Text versehen.
Als wir fast am Ende der Strecke in Gazor einkaufen, versammelt sich die verfügbare Dorfgemeinschaft, um dem seltenen Ereignis beizuwohnen. Von einem Englisch sprechenden Mann werde ich gefragt, ob ich ein Girl wäre. Das ist dem Mann auch nicht zu verübeln, wahrscheinlich hat er noch nie eine Frau in Hosen mit Wollmütze statt Rock und Kopftuch oder Burka gesehen.
Auf den letzten 7 Kilometern vor der Kreuzung gelangen wir auf Asphalt. Es fühlt sich an wie Paradies für die Bandscheiben. An der Kreuzung fahren wir gleich die nächste Tankstelle an. Theo tankt und will genauso wie wir Wasser tanken. Durch einen dicken Schlauch sind die Tanks schnell aufgefüllt. Bezahlen dürfen wir nicht.
Unweit der Kreuzung sehen wir schon von weitem eine riesige Ansammlung an Lkws. Der Parkplatz ist voll und die Lkws stauen sich noch auf der Straße einige Kilometer. Das sind die Lastwägen, die darauf warten, dass der Salang-Pass wieder öffnet. So harren sie jetzt schon seit Tagen aus.
Nach Mazar-e Sharif sind es 250 Kilometer. In zwei Tagen erreichen wir die 500.000 Einwohner zählende Stadt. Es ist Freitag Mittag. Wir fahren direkt auf das Mausoleum Imam Alis zu. Die Blaue Moschee ist in direkter Nachbarschaft. Für heute Nachmittag bietet sich der Besuch gleich direkt an. Wir parken direkt vor dem Eingang.
Am Eingang für Männer darf auch ich durch, ohne Leibesvisite, die Männer werden kontrolliert. Die Fotoapparate interessiert auch keiner, das Outfit muss nicht dem Anlass angepasst werden, nach dem Permit fragen sie auch nicht. Ich bin sehr begeistert. Ein Ober-Aufseher bestellt uns in ein Büro in dem wir warten sollen, bis das Gebet abgeschlossen ist, eine halbe Stunde etwa. Nach Ablauf der Wartezeit erscheint er wieder bei uns und verkauft uns die Tickets für den Besuch für 5 $ pro Person. Auf dem Abschnitt steht, der Zutritt ins Innere des Mausoleums und der Blauen Moschee wäre verboten. Damit sinkt meine Laune wieder entscheidend. Mich würde mal interessieren, wie die Afghanen einen so wichtigen Tomb wie diesen huldigen. Parallel zu diesem Shrine haben die Iraker auch einen Imam Ali Shrine. Die Afghanen behaupten natürlich, dieser Shrine wäre der einzig wirkliche. Nachdem es sich in Afghanistan um Sunniten handelt, ist Ali natürlich nicht der 1. Imam, sondern der 4. Kalif.
Nach einem kleinen Aufenthalt habe ich meine Fotos in der Kiste, marschiere ins Auto, trinke Kaffee und lasse meine Lederschuhe von dem Schuhputzer auf Hochglanz bringen. Dafür zahle ich ihm 50 Afghanis, nicht einmal einen Euro. Um ein Foto von ihm zu machen, muss ich erst durch die drei Reihen Schaulistige, die sich in einem Kreis um uns versammelt haben, mühen.
Als wir alle wieder zurück an den Autos sind, machen wir uns auch schon auf aus der Stadt, mehr gibt es nicht zu sehen. Zu erwähnen sei, dass Deutschland während des Krieges in Kunduz und Mazar-e Sharif stationiert war. Auf Deutschland sind die Afghanen gut zu sprechen.
Kurz hinter Mazar-e Sharif liegt das kleinere Örtchen Balch mit einer Sehenswürdigkeit, der Grünen Moschee. Obwohl wir heute schon genügend Moschee hatten, entscheiden wir uns für einen Abstecher. Und, was soll ich sagen: es hat sich gelohnt. Die Moschee ist sehr, sehr schön.
Natürlich parken wir direkt vor der Haustüre und damit auf einem Taliban-Stützpunkt. Wir fragen nach und werden zum Kommandanten der Einheit geführt. In einem noch nicht fertiggestellten Neubau ist das Büro, in das wir eingeladen werden. Der Kommandant sitzt am Boden auf seinem Teppich, zu uns gesellen sich noch 8-9 der Taliban plus ein Übersetzer. Die Hütte ist voll. Natürlich dürften wir dort übernachten, 1 Nacht, 2 Nächte, 3 Nächte, solange wir wollen, Afghanistan wäre sicher, das sollen wir auch zuhause erzählen, wenn wir heute Abend zum Essen wollen, geben sie uns einen bewaffneten Soldaten als Geleitschutz mit. So kommt es dann auch. In einem geräumigen Toyota 4RUNNER fahren wir zum Restaurant. 5 Taliban warten vor der Tür.
Heute Morgen entschließen wir uns, noch einen Tag zu bleiben. So können wir gemütlich noch einmal die Wasserpumpe kontrollieren und hoffentlich wieder in Gang bringen. Die Männer schmieren auch noch die Lkws ab und so verbringen sie den ganzen Tag umringt von Schaulustigen Jungen. Sobald die Taliban um die Ecke schauen, sprinten sie alle davon.