Heute ist es soweit: wir fahren über die Grenze nach Afghanistan. Wir sind schon eingestimmt auf eine lange Prozedur bei der Einreise, doch nur wenig Bürokratie war nötig, um übertreten zu können. Nach einer halben Stunde haben wir unsere Stempel im Pass und es kann losgehen. Schon an der Grenze – erster Taliban-Kontakt. An den Countern sitzen echt markante Typen, die schon Eindruck hinterlassen. Leidig ist der Grenzübergang jedoch, da man auf den Wegen knöcheltief im Schlamm steht. War auf der iranischen Seite allerdings nicht anders.
Schnell geht es dann auf die Autobahn Richtung Herat. Direkt neben der Straße finden sich gleich schon Anbieter von Treibstoff, Diesel wahrscheinlich, abgefüllt in Kanistern oder hauptsächlich in Getränkeflaschen. Davon werden wir noch viele sehen auf unserem Weg. Die Landschaft unterscheidet sich nicht von der Landschaft im Iran. Mit kleinen Puscheln in der Ebene. Ansonsten sehen wir kein Gebirge, lediglich sanfte Hügel. An der Straße sind etliche alte Lehmbausiedlungen mit ihren charakteristischen Kuppeln. Diese sind in der Hauptsache noch bewohnt, wie man sieht: aus Kaminen raucht es, Türen sind noch funktionell, Autos/Mopeds stehen vor den Gebäuden und Menschen halten sich auf. Eine neue Eisenbahnlinie wird gerade gebaut. Afghanistan ist auffällig sauber.
Nach kurzer Strecke geht es durch den Ort Islam Qala, der uns ob der Geschäftigkeit auf den Straßen schon einen gewissen Vorgeschmack liefert. Es ist sehr umtriebig. Auch hier waten die Menschen durch den Schlamm, um zu den Geschäften zu kommen. Vor uns fährt ein Traktor, der allerdings nicht zur Standardausstattung gehören wird. Außerhalb der Ortschaft sehen wir Menschen mit Schaufeln noch von Hand auf dem Acker arbeiten. Das Angebot der Geschäfte ist vielschichtig.
Nach Herat sind es noch etwa 100 Kilometer. Herat hat um die 650.000 Einwohner – überwiegend persischsprechende Tadschiken – und wir erhoffen uns, dort eine gute Basis zu finden, um eine Sim-Karte zu erstehen und Geld von einem ATM abzuheben, bzw. Dollar zu wechseln. Doch zuerst müssen wir durch den Verkehr. Die Straßen sind voll, je näher man an das Zentrum kommt, vor allem mit den gelben Tuk-Tuks – es gibt bestimmt dreimal mehr Tuk-Tuks als Autos in dieser Stadt. Taxis sind auch unterwegs, ganz ungewohnt in der Farbe Hellblau, was nicht immer so war. Die Taliban hätten wohl den Taxifahrern zur Auflage gemacht, ihre Fahrzeuge von Gelb auf Hellblau umzugestalten. Kreisverkehre sind eine Herausforderung, da die Vorfahrt innerhalb wechselt. Meistens werden Kreisverkehre auch von Verkehrspolizisten geregelt.
Zuallererst fahren wir zur Zitadelle, Arg-e Herat. Dort können wir auch auf dem eigenen Parkplatz stehen, allerdings nicht für die Nacht. Der Eintritt in die Zitadelle ist unverhältnismäßig hoch, 10.000 Afghani, umgerechnet 15 Euro zahlen wir zu zweit. Die Zitadelle ist unlängst 2006-2011 renoviert worden und man hat nichts dem Zufall überlassen, so perfekt steht sie wieder da nach all den Zerstörungen der Vergangenheit. Die Zitadelle ist unter Alexander des Großen 330 vor Chr. erbaut worden. Auch Einheimische besuchen die Sehenswürdigkeit, allerdings nur vereinzelt. Viele, die meine Kamera sehen, wollen sich von mir fotografieren lassen. Damit hätte ich nicht gerechnet, das findet man selten.
Im Anschluss an die Besichtigung machen sich Theo und ich in einem der zahlreichen Tuk-Tuks auf, um zu einem Geldautomaten zu gelangen. Die erste Adresse war gleich mal falsch (iOverlander ist mal wieder ein Reinfall). Dabei treffen wir auf einen jungen Mann, der unser Begehren an unseren Fahrer übersetzen konnten. Daraufhin bringt er uns zur Aziz-Bank mit ATM. Dieses Scheiß-Ding spuckt sämtlich mögliche Fehlermeldungen aus und schluckt zum Schluss Theos Karte. Fein. Danach zur Afghan United. Auch hier plage ich mich ab mit vermehrten Versuchen – ohne Erfolg. Sogar der Manager muss kommen, nachdem ich Alarm schlage, weil kein Geld ausgezahlt wird. Alle helfen mit. Als letzte Adresse fahren wir die die Afghanistan International an – und siehe da: ich schaffe es zumindest mit einer Karte, 20.000 Afghani auszahlen zu lassen. Dafür nehmen sie aber 7 % Gebühr. Merke: immer zu einer internationalen Bank gehen, selbst wenn bei den anderen Maestro-, Visa- und andere Labels abgebildet sind.
Wir müssen umparken und fahren Richtung Mellat-Park, da fischt uns ein Afghane mit deutscher Staatsangehörigkeit aus dem Verkehr und lotst uns am Stadium vorbei südlich für einige Kilometer. Unter einer Brücke direkt am Wasser, am Fluss Hari, soll es schön sein, morgens kämen die Pferde vorbei, … Etliche Autos stehen am Fluss, um gute Zeit zu verbringen/Musik zu hören. Die Taliban mögen Musik nicht. Kaum steht das Auto, haben wir auch schon Blasmusik am Auto. Zirka 10 Kinder belagern uns. Schnell werden 20 Kinder daraus. Anfangs verteile ich noch Bonbons, gebe jedoch auf.
Unser Freund organisiert uns von Verwandten Sim-Karten. Es wäre wohl unmöglich für Touristen, sich eine Sim-Karte bei einem Händler zu organisieren. Wie wir später über lange Recherche erfahren, wäre es wohl möglich, sich für eine Sim-Karte registrieren zu lassen über einen Antrag, dessen Formular man an der Grenze erhält. Danach geht es zu einem Lebensmittel-Shop, der die Karten auflädt. Unsere Helfer müssen noch das Guthaben aktivieren, was sich anscheinend nicht so einfach gestaltet. Angeblich ist das Netz ausgefallen. Unsere Karte ist defekt, soviel steht nach einiger Zeit fest, haben allerdings bereits etwa 10 Euro aufgeladen. Danach erhalten wir die Karte unseres Schleppers, die er probeweise auflädt und testet. Nun funktioniert es. Dafür haben Theo und Petra keinen Zugang zu Internet. Selbst beim Check in Kandahar im Service Center ihres Providers kann man ihnen nicht helfen, da die Karte anscheinend nicht registriert ist. Auch sie haben Guthaben für gutes Geld aufgeladen.
Um 1 Uhr nachts steht ein Taliban bewaffnet vor dem Auto und klopft. Man gewöhnt sich langsam an die Bewaffnung, die man hier auch tagsüber antrifft. Nachdem ich ihm einfach „Almanyi“ sage, verschwindet er wieder wortlos.
Sobald ein Fenster offen ist, hat man sogleich wieder Blasmusik vor dem Auto. Diese Truppe verlangt nach Essen. Wir verschenken unser gesamtes Brot und unsere Käseecken. Zufrieden ziehen sie wieder ab. Die Kinder sind meist sehr arm. Manche müssen Geld verdienen, indem sie Eier verkaufen (wir sind auch schon fleissige Abnehmer), Aluminium sammeln oder Auto waschen. Es dauert nicht lange und der Rest der Bande ist auch wieder hier.
An diesem Morgen fahren wir erneut in das Zentrum von Herat, um Theos Karte bei der Bank abzuholen und Geld zu wechseln. Wir wählen die Strecke über die Malan-Brücke, der Pul-i Malan, aus dem 12. Jahrhundert, die auch über den Hari führt, von Süd nach Nord. Am Anfang der Brücke ist eine Militärstation, die eigentlich nicht viel zu tun hat. Die Taliban lassen sich auch gerne in allen Posen fotografieren. Natürlich ist die Brücke auch unter Aufghanistans Vergangenheit in Mitleidenschaft gezogen worden und wurde wieder vollständig wiederhergestellt.
In der Straße zur Aziz-Bank sitzen auch die Geldwechsler. Auch hier haben wir das Problem, dass je kleiner die Note umso geringer ist der Wechselkurs. Einer schickt mich gleich weg, weil ich keine 100-Noten dabei habe. Kaum zu glauben. Theo hat seine Karte wieder.
Nun wollen wir uns die Great Mosque ansehen. Mehr haben wir eigentlich nicht mehr vor. Ich komme von unserem Parkplatz nicht besonders weit und habe gleich eine ganze Bande um mich versammelt, die alle fotografiert werden wollen. Und noch viel mehr. Nachdem ich das absolviert habe, sind wir an dem Eingang zur Moschee. Wir bräuchten für den Zutritt eine spezielle Permission, die irgendeine Behörde irgendwo in Herat ausstellt. Wir könnten ja gefährlich sein. Irgendwann dann wird bei Jürgen die Leibesvisite gemacht und das ist das Signal, dass sie doch ein Einsehen mit uns haben. Auf Frauen sind sie nicht eingestellt und ich darf einfach so passieren mit dem Hinweis, ich müsste meine Schuhe ausziehen. Dort sitzt auch noch eine kleine Horde Jungs mit einem der Maschinenpistolen posierend. Ein Tschador war nicht nötig. Ich hatte lediglich auf meine Afghanistan-Version eines Kopftuches gewechselt, die mir auch nicht mehr zusagt, als das leidige Kopftuch. Ich bin seit Teheran dazu übergegangen, einfach eine Mütze zu tragen. Bisher hat sich noch niemand beschwert.
Jungs sind überall – Mädchen habe ich noch keine erlebt. In all der Zeit habe ich in dieser großenstatt maximal ein Dutzend Burka-Trägerinnen gesehen. Die deutliche Mehrheit der Frauen trägt Tschador, nicht immer bodenlang.
Nach der Besichtigung – es ist gerade Gebetszeit – gehen wir noch etwas entlang und wir finden ein Restaurant mit gegrillten Hähnchen. Danach fahren wir wieder zu unserem Parkplatz am Fluss Hari. Dort wartet schon die Gang auf uns. Auch stehen viele Autos am Ufer oder direkt im seichten Wasser, um das Auto zu waschen. Es ist ein schöner Tag mit Sonnenschein, es hat um die 12 Grad (Herat liegt ja nur auf zirka 900 Metern) und setzen uns ins Freie … umringt von zirka 30 Kindern und Erwachsenen, die nach Zigaretten, Geld verlangen, sich fotografieren lassen wollen. Im Gegenzug bekommen wir von einem Älteren auch Haschisch angeboten. Die Taliban hätten ihm aufgrund eines Drogenfunds bei ihm den kleinen Finger abgeschnitten, was ihn aber auch nicht davon abhält. Auch die Cowboys mit ihren Pferden sind heute da und die Taliban schaut auch vorbei.
Ich soll von einem ein Foto schießen und ihm auf WhatsApp zukommen lassen. Das war ein Fehler, nun ruft er ständig mit Video bei mir an. Bisher habe ich die Anrufe noch beantwortet und wieder schnell beendet, jetzt spiele ich tote Maus.
Gerade hat Jürgen eine Abordnung Talibani an unserem Auto lautstark verscheucht, was problemlos möglich war. Mal sehen, ob sie heute Nacht noch einmal vorbeischauen.
Morgen geht es weiter im Programm.