Von Balch sind es etwa 700 Kilometer nach Herat. Das war noch eine schöne Abwechslung in Balch, bevor es jetzt auf Strecke geht. Wir können es gemütlich angehen. 2-3 Tage bis Herat und dann noch bis zur Grenze etwa 160 Kilometer.
Auf der ersten Etappe gelangen wir auf mäßigen Straßen 250 Kilometer bis kurz vor Dowlatabad. Von dem Abschnitt gibt es null Fotos: wir haben mieses Wetter, die Landschaft ist trostlos verlassen und ich sitze bleich auf dem Beifahrersitz mit Kotztüte vor mir – ich bin krank.
Wir sehen noch kurz in Sheberghan vorbei, nachdem ich von dem Dasht-u-Leili Massaker 2001 gelesen habe. 250-3.000 Taliban sollten damals in Schiffscontainern von US und Nord Alliance von Kunduz zum Sheberghan Gefängnis transportiert worden. Die Taliban, die wie durch ein Wunder nicht erstickt waren, wurden erschossen. Wir glauben das Gefängnis gefunden zu haben. Heute befindet sich hinter den Mauern ein neu installiertes Umspannwerk und lediglich noch ein paar Schiffscontainer auf dem sehr großen Gelände.
Am nächsten Tag – zur Sicherheit habe ich noch die Kotztüte vor mir – ist es auch nicht besonders von der Strecke und dem Wetter. Allmählich kommen wir aber schon in die Berge. Ab Maymana wird es landschaftlich attraktiver und auch heller. Für Jürgen habe ich ein paar Fotos auf seiner Kamera geknipst. Ich erhebe keinen Anspruch darauf und bin auch froh, dass ich sie nicht bearbeiten muss und bin schon auf dem direkten Weg im Bett, sobald wir anhalten. Unser Stellplatz, so sehe ich am nächsten Morgen ist ganz lauschig. Wir stehen erhöht und blicken ausschließlich auf landwirtschaftliche Flächen. An einigen Feldern wird bereits gearbeitet. Mit Schaufeln und zum Ackern mit Ochsenpflug. Die Felder werden bestellt, während es in dem letzten Tal bereits grünt. Jürgen berichtet, gestern Abend und nachts waren die Taliban 4 mal da, um uns zu kontrollieren.
Wir fahren gewohnt pünktlich los. Nach ein bisschen Strecke überholt es uns von einem Moment auf den anderen. Von unserer Teerstraße geht es ohne Voranmeldung in Schlamm über, obwohl wir noch immer auf der Hauptverbindungsstraße, dem National Highway 01, fahren. Wir dachten, wir sehen nicht recht. Das Gelände ist unbeschreiblich. Anfangs hofften wir noch auf eine lediglich kurze Unterbrechung der Strecke. Mittlerweile haben wir von einer Strecke dieser Qualität bis Qala-i Naw gehört, was 200 Kilometer bedeuten würde. Ab Qala-i Naw ginge es wieder auf Asphalt. Gut, dass wir zeitlich noch Puffer haben bis zu unserer Ausreise, am 17. März müssen wir visabedingt sowohl aus Afghanistan raus als auch in Iran rein.
Zwischen den Hügeln geht es landschaftlich ansprechender voran. Die Straßen sind unverändert eine Herausforderung. Einmal setzen wir uns im Schlamm fest – Theo muß uns rausschleppen. Vor uns stauen sich Lkws. Viele haben wir bisher unterwegs nicht gesehen. Der Grund für den Rückstau: an einer Stelle voraus muss man bergab, durch den Fluss und gegenüber wieder rauf, womit die meisten Lkws so ihre Schwierigkeiten haben. An der Stelle, an der die Lkws gewöhnlich nicht weiterkommen, sind einige Männer mit Schaufeln zugange, um Sand unter die angetriebenen Hinterachsen zu bringen. So klappt es dann. Nachdem der Gegenverkehr nun durch ist, sind wir dran. Mit Allrad, gesperrter Hinterachse und Untersetzung sind wir zwar mit Gerappel, aber ohne Hilfe auf der anderen Seite.
Die Hügel sind mit schönen Gras bedeckt. Die mittlerweile großen Schaf- und Ziegenherden wählen bevorzugt das Gras in der Höhe. Die Flächen sind mit Wegen durchwirkt oder erodiert. In den Tälern zwischen den Hügeln haben sich Nomaden in Zelten niedergelassen. Es könnte auch sein, dass es sich um Flüchtlinge handelt, da sie auch Planen von UNHCR verarbeitet haben.
Taliban ist in dieser Ecke des Emirats arg übermotiviert. Ständig werden wir kontrolliert. Anscheinend haben wir auch schon Stationen überfahren, wie wir von Petra und Theo hören. Heute fahren wir nach Bala Murghab, wo wir im Ort, natürlich erst nach Taliban-Kontrolle, Brot und fritiertes gefülltes Naan einkaufen, um an einem Platz zu übernachten, wo bereits ein paar Lkws stehen. Hier haben wir Blasmusik. Manche der Kinder werden übermütig, klopfen, hören nicht auf und werfen auch Steine, trotz Jürgens Eingriff. Lautstark verlangt er nach Polizei und ein Anwohner sagt ihm zu, dass nun Schluss damit wäre. War auch so. Danach – es ist schon dunkel – wandern Menschen im Schein von zirka 10 Taschenlampen zu uns herüber. Erwachsene. Die meisten verabschieden sich. Ein Quotenafghane nervt Jürgen bis auf den Nerv. Er steht schon auf der Treppe, will Geld. Als er dann versucht, über das Fenster hereinzusehen, schreie ich extra laut auf. Das hat ihn anscheinend erschreckt. Jetzt ist er weg.
Morgens ist das Geschrei wieder groß. Ich verschaffe mir einen Überblick über die Rasselbande. Ich habe sie genau beobachtet. Das hitzigste Temperament ist der Schatz, gekleidet in Weinrot, obwohl er nicht der größte der Bande ist. Einigermaßen kontrolliert stellen sie nach meiner gezeigten Aufmerksamkeit ihre Forderungen: sie wollen Geld. Ich biete ihnen Brot, das sie gerne nehmen und sich ausgiebig dafür bei mir bedanken. Dann kommt es zu einer Situation, mit der man so gar nicht rechnet: der Weinrote schleppt zwei Knirpse an und bittet um etwas für die beiden. Ich finde noch zwei Schokoteilchen. Ich reiche sie ihm. Er packt sie aus und gibt sie an die Kleinen. Dieses soziale Engagement haut mich um. Zum Abschied schreien alle und winken.
Ganz vergessen, wie anstrengend dieser Parcours ist. Wenn man denkt, man hätte das Schlimmste schon hinter sich, so wird man auf dieser Strecke sich nie sicher sein dürfen. Die Landschaft entschädigt. Es ist noch immer hügelige, sanfte Landschaft, überzogen von saftigem Grün. Wir fahren auf 600 Metern Höhe. Es könnte aber auch gefühlt höher sein. Am Ende des Fahrtages erreichen wir die 1.000 Höhenmeter. Mit uns mühen sich einige andere Lkws: Original Mercedes sieht man gar nicht, wenn dann haben sie sich einfach einen Stern aufgeklebt oder irgendwo am Wagen steht Mercedes Benz, Mercdes Benz habe ich auch schon gesehen. Hauptsächlich sind ältere Kamaz unterwegs, russische Lastwägen, und die Minis von Mazda, die sich schmalspurig spielend fortbewegen.
In Kohneh Rabat-e Mogor müssen wir die Flussseite wechseln. Zwei Erwachsene weisen uns eine Umfahrung abseits des Tracks auf der Karte. Da müssen wir durch fast kniehohen Schlamm. Am Ufer sitzen einige Schaulustige, um zu sehen, wie jeder die Querung meistert. Für uns ist das natürlich kein Problem. Selbst bei den Pkws ist der Wasserstand unter dem Einstieg. Wir hätten auch die Originalroute nehmen können, die ein paar Meter flussaufwärts quert. Danke für den Tipp! Nicht das erste Mal. Als wir uns noch Aufstellen, um Petra und Theo bei der Durchfahrt zu filmen, haben wir 40-50 Menschen um uns versammelt. Ich kann kaum filmen, da alle sich dann um mich scharren, nachdem ich ausgestiegen bin. Außerdem wird noch gerangelt und geschubbst. Manchmal ist es wirklich mühselig.
Es ist dann tatsächlich so, wie uns berichtet wurde: kurz vor Qala-i Naw landen wir auf Asphalt. Fürs erste allerdings nur ein paar Kilometer. Nachdem wir das Zwischenstück absolviert haben, wieder Asphalt, der bis jetzt anhält. Heute Nacht übernachten wir in einem eingezäunten Betriebsgelände. Jürgen ist erschöpft und möchte nicht von der Taliban vertrieben werden. Petra und Theo haben wir in der Stadt verloren und morgen versuchen wir, wieder in Kontakt zu kommen.
Die Nacht war ruhig. Bevor wir das Gelände verlassen können, sind 200 Afghani (3 €) beim Wachpersonal fällig. Witzig. Asphalt und nervige Piste wechseln sich ab. Der Asphalt wäre vorbildlich, warum sich das so stückelt, können wir nicht verstehen. Bald geht es stetig bergauf. Auf 2.000 Meter ist die Sicht arg eingeschränkt durch dichten Nebel. Dadurch kommen wir trotz Asphalts schleichend voran. Die Strecke zieht sich bis auf 2.600 Meter. Danach geht es konsequent wieder bergab. Mittlerweile haben wir über Funk wieder Kontakt zu Petra und Theo. Sie sind uns voraus. Für eine Kaffeepause warten sie auf uns.
Die letzten Kilometer bis Herat sind durchgängig auf Asphalt. In Herat sehen wir einen Parkplatz eingetragen am Mellat-Park, der sich allerdings als Niete herausstellt. So fahren wir weiter Richtung Grenze und finden einen Durchschlupf durch die neu verlegten Bahngleise und parken versteckt vor allen Blicken dahinter. Hier vermutet man niemanden.